In Deutschland ist die Zettelkasten-Methode gar nicht so bekannt, obwohl deren Schรถpfer (รberraschung!), Deutscher war. Niklas Luhmann hieร er und war Soziologe. Zettelkasten ist eine Methode, um Wissen zu organisieren und das Gelesene und Gelernte zu organisieren und in Kontext zu setzen.

Dazu schrieb Luhmann รผber 90.000 Karteikarten (Zettel), verpasste ihnen eine Indexnummer und steckte sie in einen physischen Schubkasten. Ich will das System hier nicht weiter erklรคren, da es dazu zig Abhandlungen und Videos gibt. Gerade im englischsprachigen Raum erlebt „Zettelkasten“ gerade einen regelrechten Hype – nicht zuletzt durch Programme wie Obsidian, Notion, Logseq usw.
Im Prinzip legte Luhmann fรผr interessante Inhalte in Bรผchern, Ideen, Zitate und Gedanken einen Zettel an und brachte zusammenhรคngende Inhalte in Verbindung. Daraus entstanden Literaturnotizen und daraus wieder permanente Notizen mit Zusammenfassungen in eigenen Worten. Diese Arbeitsweise fรผhrt auch dazu, dass man sie immer wieder mit verschiedenen Zetteln beschรคftigen muss und damit das Wissen vertieft. Heute wรผrde man es eine Datenbank mit Hyperlinks nennen.
Zettelkasten fรผr Blogger und Content-Creator?
Ich habe mich in den vergangenen Wochen sehr ausfรผhrlich damit beschรคftigt und mir รผberlegt, was die Zettelkasten-Methode fรผr Blogger, Content-Creator oder fรผr meinen Job tun kรถnnte. Spoiler: Absolut nichts!
Dabei habe ich festgestellt, dass sich sehr viele dafรผr interessieren und versucht haben, „Zettelkasten“ gewinnbringend fรผr sich anzuwenden. Schlieรlich hat der Zettelkasten-Erfinder Luhmann, dank dieser Methode, 58 Bรผcher und unzรคhlige Artikel verรถffentlicht. Hat man den Zettelkasten erst einmal gut gefรผllt, in Literatur- und permanente Notizen gegliedert, braucht man nur noch hineingreifen und das nรคchste Buch entsteht praktisch von selbst. So zumindest die Theorie und Hoffnung, welche das Thema Zettelkasten fรผr viele so attraktiv macht.

Tatsรคchlich kann diese Methode hilfreich sein, wenn man zu einem bestimmten Thema, mit einem bestimmten Ziel, Informationen sammelt – etwa in der Forschung oder wenn man ein Buch zu einem Thema schreiben mรถchte. Vielleicht auch noch, wen man EIN groรes Hobby hat und sein Wissen darin festhalten und festigen will.
Geht es jedoch um viele unterschiedliche Themen, die hauptsรคchlich aus digitalen Quellen stammen (die sicher auch รberschneidungen und Gemeinsamkeiten haben kรถnnen) – ist Zettelkasten ein unnรถtiger und verkopfter Weg aus analoger Vergangenheit, der zudem fรผr Dritte kaum nutzbar ist.
Zettelkasten ist meiner รberzeugung nach auch kein Werkzeug fรผr das Wissensmanagement. Vielmehr ist es dazu da, ein bestimmtes Thema zu strukturieren und zu vertiefen. Sobald es um viele unterschiedliche Themen geht, bringt Zettelkasten gar nichts, auรer zusรคtzlichem Aufwand.
Luhmann konnte nicht auf Mรถglichkeiten zurรผckgreifen, wie wir sie heute mit Wikis oder Apps wie Obsidian, Loqseq, Notion etc. zur Verfรผgung haben. Es war noch eine Welt, in der Wissen auf Papier verbreitet und festgehalten wurde. Er hรคtte also entweder Seiten aus den Bรผchern reiรen, sie physisch kopieren, zuschneiden und einkleben mรผssen oder er konnte Fragmente daraus in seinem Zettelkasten verewigen.
Wir kรถnnen heute beliebige Inhalte mit Copy-and-Paste einfรผgen, abfotografieren oder ganze Bรผcher, Paper, Webseiten und Magazine als PDFs speichern und durchsuchbar machen.

Zettelkasten ist nichts anderes als die Verlinkung und Zusammenfassung von Notizen und Anmerkungen. Dazu kann man etwa in Obsidian Links, die Fuzzy-Suche, Tags oder einfach Keywords und Ordner verwenden. Wenn ich etwa zum Thema Home Assistant Themen recherchiere, bekommen die einzelnen Notizen das Tag „HA“. Auch bei Home Assistant kommen Themen wie Docker oder Backup auf. Die lassen sich ganz einfach mit vorhandenen Notizen verlinken.
Luhmann konnte seinem Schrank nicht einfach sagen: Gebe mir schnell mal alle Karten zum Thema XY der letzten 2 Jahre. In der digitalen Welt ist das eine Grundfunktion. Er war dazu verdammt, allen Notizen einen Index zu geben und diesen zumindest einmal an einem anderen Ort zu referenzieren. Er hรคtte in seinen 90.000 Zetteln sonst nie mehr etwas gefunden.

Grรผnde, warum viele am Zettelkasten scheitern
Verfolgt man die Diskussionen in verschiedenen Foren, bei Reddit, wie auch im Obsidian-Forum stellt man fest, dass viele bei der Umsetzung der Zettelkasten-Methode scheitern. Oft sorgt sie fรผr unnรถtige Arbeit, ohne einen wirklichen Mehrwert und Erkenntnisgewinn zu bringen. Viele versuchen beinahe verzweifelt, die Methode anzuwenden, scheitern dabei und fragen sich, was sie falsch machen.

Sie machen gar nichts falsch: Zettelkasten ist einfach eine Methode
- die momentan gehypt wird
- nur fรผr wenige Anwender sinnvoll ist
- aus einer anderen Zeit stammt,
- und ggf. noch am ehesten fรผr die Forschung und eng begrenzte Themen geeignet scheint.
Eine digitale Notiz kann heute so lang sein, wie sie will und man kann sie so oft verรคndern, ergรคnzen und erweitern, wie man mรถchte. Obsidian Plugins kรถnnen automatisch Inhaltsverzeichnisse generieren. Dataviews erzeugen automatisch und dynamisch Zusammenhรคnge und schaffen Kontext. Hat man erst einmal eine solche umfangreiche Notiz, ist es mit Obsidian ein Klacks, diese nachtrรคglich in kleinere Themen aufzuteilen oder umgekehrt.
- Fรผr iPad Pro 12,9 Zoll (3. und 4. Generation), iPad Pro 11 Zoll (2. Generation), iPad (6., 7., 8. und 9. Generation), iPad Air (3., 4. und 5. Generation) und iPad Mini (5. Generation) , iOS aktualisiert auf 12.2 und hรถher
- Nutzt die Apple Pencil Technologie, sodass Sie ganz natรผrlich schreiben und zeichnen kรถnnen, ohne Angst zu haben, einen falschen Strich zu machen. Mit Scribble kรถnnen Sie Ihre Handschrift sogar in Text umwandeln.
Luhmann schrieb seine Notizen gar auf sehr dรผnnes Papier, um physischen Platz in seinen Kรคsten (und seinem Bรผro) zu sparen. Bei den Giga- und Terabyte an gรผnstigem Speicherplatz, ist das heute egal und man hat den Luxus, die komplette Quelle speichern zu kรถnnen.
Fรผr digitale Werkzeuge ist die Verlinkung von Inhalten eine Grundfunktion. Es ist meist sinnlos, einen analogen Workflow 1:1 in die digitale Welt รผbernehmen zu wollen, was viele Zettelkasten-Fans beinahe sklavisch tun – inklusive Indexnummern, hochkomplexen Templates etc. Ich habe oft den Eindruck, dass es eher darum geht, Zettelkasten auf Biegen und Brechen umzusetzen, weil es schick und angesagt ist.
Daher nutze ich Obsidian mit Verlinkungen, Tags und Dataviews, wo es sinnvoll erscheint. Aber es muss nicht jede Notiz mit einer anderen in Verbindung stehen, was sie bei meinen vielen Interessen und Themen ohnehin nicht kann. Die hervorragende Suchfunktion von Obsidian bringt die Inhalte hervor, die relevant sind – ganz ohne aufwendige Nacharbeit mit „Literaturnotizen“ und „Permanenten Notizen“.
Meine Alternative zum Zettelkasten: Die groรe Leinwand
Wenn es um ein Thema geht, zu dem ich umfangreichere Inhalte und Quellen sammle, werfe ich diese in eine Datei und mache dort meine Anmerkungen und Notizen. Das schafft einen besseren und schnelleren รberblick, als die „atomaren“ Informationseinheiten (Fleeting Notes), die erst im Nachgang zu grรถรeren Informationseinheiten zusammengefasst werden mรผssen. In Obsidian kรถnnen selbst รberschriften, Aufzรคhlungen und Abschnitte referenziert werden – so es denn nรถtig ist.
Viele Fragen drehen sich bei der Zettelkasten-Methode darum, wie man nun die vielen kleinen Notizen behandelt, wohin man sie speichert usw. Mit einer groรen Datei pro Thema ist dieses Problem gelรถst, bevor es entsteht. Jedem Eintrag darin ein Erstellungsdatum geben (kann man auch automatisieren), von Obsidian noch ein Inhaltsverzeichnis aus den รberschriften generieren und aktualisieren lassen und der Drops ist gelutscht!
In die groรe Notiz kommen nur die wirklich relevanten Inhalte. Ich mache dumme Notizen und keine smarten Notizen. Wichtig ist nur: Ich mache sie schnell und einfach, damit ich mich daran erinnere und ich muss sie wieder finden.
Ich organisiere hier auch nicht viel und wenn, dann erst zu einem spรคteren Zeitpunkt. Hat man erst einmal eine nennenswerte Sammlung an Inhalten, stellt man fest:
- Welche Struktur fรผr eine sinnvolle Organisation sinnvoll ist
- Wie viel davon schon wieder veraltet ist und gelรถscht werden kann
Also nicht vorher den Kopf darรผber zerbrechen, was die ideale zukรผnftige Ordnerstruktur etc. wรคre, sondern dann darรผber entscheiden, wenn darรผber entschieden werden kann und muss.
Viele Notizen sind auch insofern รผberflรผssig, als man sehr viel schneller und aktueller googeln kann. Dazu muss ich sie nicht in meiner eigenen „Datenbank“ haben.
Die wichtigsten Funktionen, die eine Software fรผr Notizen mitbringen muss:
- Man muss sie einfach und schnell zur Verfรผgung haben (Mobil!) und bedienen kรถnnen
- Sie muss eine hervorragende Suchfunktion mitbringen
- Die Inhalte sollten in einem Format gespeichert werden, das nicht von der Software abhรคngt (weshalb ich Obsidian und Markdown so sehr mag)
Selbstoptimierung, PKM und Data-Hoarding
Man muss auch das Thema Personal Knowledge Management (PKM) grundsรคtzlich kritisch betrachten:
Data-Hoarding ist ein Problem, mit dem sich viele konfrontiert sehen. Gerade im Zuge des Selbstoptimierungswahnsinns, wird auf Teufel komm raus alles gesammelt, mit Tasks versehen, notiert, sortiert, priorisiert usw. Dabei bleibt das entspannte Nachdenken auf der Strecke.
Genau das ist aber wichtig, wenn man nach Ideen sucht. Darum kommen diese auch eher unter der Dusche oder auf der Toilette ๐ und selten am Schreibtisch. Langeweile ist fast ein Garant fรผr neue Ideen.
Manch einer verbringt mehr Zeit damit, sein PKM-System zu optimieren und zu pflegen, als daraus eigene Inhalte entstehen zu lassen. Ich sammle Informationen, um daraus einen interessanten Blogbeitrag entstehen zu lassen, nicht des Sammelns wegen.
Viele Inhalte sind heute schon nach kurzer Zeit รผberholt und kรถnnen besser, aktueller und schneller gegoogelt werden. Darum haben viele meiner Notizen ein „Verfallsdatum“. Notizen, die ich z. B. zu einer bestimmten Anwendungsversion gemacht habe, sind vermutlich nach 2 Jahren รผberholt und werden dann auch gelรถscht.
Als ich mit meinen Notizen von Evernote zu Obsidian umgezogen bin, nutzte ich die Gelegenheit gleich dazu, einmal umfangreich auszumisten. Mehr als die Hรคlfte der Inhalte, die in fast 15 Jahren Evernote-Nutzung entstanden, konnte bedenkenlos gelรถscht werden, da sie รผberholt oder nicht mehr relevant waren.
Und da kommen wir zu …
The Collectorโs Fallacy
Die Collectorโs Fallacy (Sammler-Illusion) beschreibt unsere Tendenz, Informationen zu sammeln und zu archivieren, ohne sie tatsรคchlich zu lernen oder zu verinnerlichen.
Der Zettelkasten, aber natรผrlich auch Obsidian und andere Programme verleiten geradezu, jeden Schnipsel an Information zu sammeln und zu horten. Eines Tags wird er schon einmal nรผtzlich sein – Hauptsache, nicht verlieren.

Wir fรผhlen uns belohnt, wenn wir Dinge sammeln, sei es physische Kopien von Texten oder digitale Lesezeichen. Ein prall gefรผllter Zettelkasten oder Obsidian-Vault mit vielen Verlinkungen, sieht beeindruckend aus und war viel Arbeit. Darum hat er fรผr uns einen gewissen Wert.
Das Problem dabei ist, dass das bloรe Sammeln von Informationen nicht dasselbe ist wie das tatsรคchliche Verstehen und Anwenden dieser Informationen.
- Beispiele fรผr die Collectorโs Fallacy:
- Physische Kopien von Texten: Studierende kopieren oft viele Texte, lesen sie aber nicht wirklich. Die Stapel von Kopien werden zu einem Alibi, das vorgibt, dass sie den Inhalt bereits kennen.
- Digitale Lesezeichen: Wir speichern interessante Webseiten als Lesezeichen, aber das bedeutet nicht, dass wir den Inhalt wirklich verstanden haben.
- Warum passiert das?
- Das Sammeln von Informationen ist einfach. Wir erhalten sofort physische oder digitale Kopien als Belohnung.
- Wir konditionieren uns selbst, รคhnlich wie Skinner Tauben konditionierte: Wenn wir auf โKopierenโ klicken, erhalten wir sofort Papierstapel oder digitale Lesezeichen und Notizen. Das fรผr auรerdem dazu, dass wir glauben, etwas Sinnvolles oder Wichtiges getan zu haben.
- Warum ist das ein Problem?
- Echtes Wissen erfordert, dass wir Informationen in unser eigenes Wissen integrieren.
- Nur das Ablegen von Dingen fรผhrt nicht zu Fortschritt oder Verรคnderung.
Fazit
Zettelkasten war fรผr Niklas Luhmann ein analoger Weg, sein Wissen zu konservieren und es war eine Methode, die fรผr ihn in einer Welt aus Papier funktionierte. Sein hoher Output an Bรผchern, Verรถffentlichungen etc., kam aber sicher nicht wegen seiner Zettelkasten-Methode. Sie war Teil seiner persรถnlichen Arbeitsweise und seiner Disziplin. Damals war die Methode aber sicher bemerkenswert und revolutionรคr.
Notetaking-Apps helfen heute beinahe automatisch dabei, Inhalte in Verbindung zueinander zu bringen. Das geht weit รผber das hinaus, was Zettelkasten zu leisten vermochte und vermag, denn die Apps kรถnnen Zusammenhรคnge finden, an die wir selbst nicht gedacht hรคtten. In einer Zeit, in der immer mehr Informationen auf uns einprasseln, ist das auch notwendig.
Man kann sogar ChatGPT in Obsidian integrieren und das findet auf Wunsch Themen รผber den ganzen Vault, kann sie zusammenfassen, Anregungen und Zusammenhรคnge liefern. Mit einem Klick erstellt man aus diesen Erkenntnissen eine schรถn gegliederte Notiz, die (hoffentlich) echte Erkenntnisse liefert. Luhmann wรคre vermutlich begeistert gewesen und hรคtte damit vielleicht 100 Bรผcher geschrieben.
Auf der Seite des Niklas Luhmann Archivs steht daher am Schluss:
Durch das Multiple-storage-Prinzip und die an Hyperlinks erinnernde Verweisungstechnik simulierte Luhmann trotz der analogen Speichertechnik also schon seit den 1950er Jahren ein modernes, computergestรผtztes Datenbanksystem.
Niklas Luhmann-Archiv (niklas-luhmann-archiv.de)
Ich bin รผberzeugt davon, dass Luhmann heute auch einfach eine Software wie Obsidian nutzen wรผrde. Allein schon deshalb, weil er damit seine Notizen immer dabeihaben kรถnnte. Das war mit seinem Holzkasten nicht mรถglich und er hรคtte weniger Zeit mit der Verwaltung der Notizen verbringen mรผssen.
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