Warum deine Kamera absolut unwichtig ist

Von Kollegen, Freunden und Bekannten werde ich oft gefragt, welche Kamera ich empfehlen wรผrde. Meist bekomme ich schon eine Vorauswahl mรถglicher Modelle prรคsentiert, die ins Maximalbudget passen. Meine Antwort verblรผfft immer und sorgt fรผr unglรคubige Blicke.

Warum deine Kamera absolut unwichtig ist

Mit der Frage nach einer Kameraempfehlung geht beim รผberwiegenden Teil der Leute, die damit auf mich zukommen, eine Vorauswahl von Kameramodellen einher. Das ist insofern ungewรถhnlich, als 90 % der Anfragenden keinerlei Vorwissen in diesem Bereich haben.

Wie bei allen Anfragen – nicht nur fotografischer Natur – frage ich zuerst immer, was derjenige erreichen mรถchte und was die Hauptanwendungsgebiete sein sollen. Getreu dem Motto: โ€œnenne mir keine Lรถsung, sondern erzรคhle mir dein Problem!โ€

Die meisten Anforderungen bewegen sich im Spektrum โ€œschรถnere Bilder machen im Urlaub und auf Reisen.โ€ Auch das Neugeborene ist ein hรคufiger Anlass, fรผr den eine Spitzenkamera angeschafft werden muss.

Dafรผr hat der Fragende auch gleich die passende Kamera ausgemacht: Wechselobjektivkameras – entweder als DSLR oder neuerdings auch als Systemkamera. Und natรผrlich mit mรถglichst groรŸer Brennweite – gerne auch รผber 500 mm. Budget: so 400 – 600 Euro. Auf jeden Fall unter 1000. Und einfach bedienbar muss sie sein.

Meine Standard-Antwort: Du hast schon eine gute Kamera, nรคmlich dein Smartphone! 

Innerhalb von wenigen Millisekunden werden die Augen des Gegenรผbers riesengroรŸ, um dann direkt in einen stutzigen und unglรคubigen Blick รผberzugehen. โ€œjajaja, aaaber โ€ฆdas macht so keine so guten Bilder wie eine echte Kamera?โ€

Smartphone Fotografie mit Adobe Lightroom Mobile …

Meine Fragen bohren tiefer: โ€œHast du schon jemals den eine Einstellung in deiner Kamera-App verรคndert? WeiรŸt du was die Belichtungskorrektur macht? Hast du schon jemals – auรŸer mit Instagram-Filtern – ein Foto bearbeitet und wรผrdest du dir die Zeit dazu nehmen? Bist du bereit, mehrere Objektive mitzunehmen und zu wechseln und dafรผr mehr als fรผr den Kamerabody selbst auszugeben?“

All diese Fragen werden zu 100 Prozent mit โ€œNein!โ€ beantwortet.

Oft lasse ich mir einige Fotos zeigen, die bereits (mit dem Smartphone) gemacht wurden. Auch hier ist zu fast 100 Prozent zu sehen, dass es keine Grundlage gibt, die eine teure Kamera rechtfertigen wรผrde. 

Kinder werden von oben fotografiert und zum Blick in die Kamera gezwungen. Portrรคts im Gegenlicht sind immer zu dunkel, weil man die Belichtungskorrektur noch nicht entdeckt hat. Alles lรคuft auf Schnappschรผsse hinaus, bei der eine teure Kamera keinerlei Verbesserung bringen wรผrde, denn die Kamera sieht nicht fรผr dich. Sie erkennt keine interessant Motive oder legt sich fรผr dich auf den Bauch, damit du dein Kind aus Augenhรถhe fotografieren kannst.

Sie macht auch keine Bildausschnitte oder wรคhlt die besten Fotos aus. Sie geht nicht morgens fรผr dich vor die Tรผre, um eine besondere Lichtstimmung einzufangen oder wartet in der Blauen Stunde, wรคhrend du FuรŸball schaust. Sie ist auch zu groรŸ fรผr deine Hosentasche, sodass du sie bei der putzigen Aktion deiner Lendenfrucht gerade nicht parat hast. Sie erklรคrt sich nicht von selbst und die Fotos, die du im Automatikmodus machst, sind zu 100 % ein Zufallsprodukt.

Was sie kann, sind schnelle Verschlusszeiten und Fokussierung, wenn du unter die Sportfotografen gehen willst. Sie kann eine Blitzanlage auslรถsen, wenn du Studiofotografie vorhast. Sie zeigt weniger Bildrauschen, wenn du als Hochzeitsfotograf in einer dunklen Kirche Bilder machen musst – oder macht solche Aufnahmen รผberhaupt erst mรถglich. Gleiches gilt fรผr die Astrofotografie oder wenn dein Spezialgebiet die Tierbeobachtung ist. Dann braucht man lange Brennweiten – die aber auch entsprechend teuer sind. Dann hat man aber auch die Kenntnisse, die eine solche Kamera erfordert und wรคhlt etwas aus, weil man weiรŸ warum.

Wenn man nicht ernsthaft zum Lernen bereit ist was die Kamera kann, die man bereits hat und wie man damit sehenswerte Fotos macht, ist eine andere Kamera rausgeschmissenes Geld.
Auf das perfekte Licht warten

Die wenigsten sind bereit, dafรผr Zeit und Anstrengung zu investieren. Sie glauben, dass eine teure Kamera auch gleichzeitig – auf eine irgendwie magische Weise – bessere Fotos machen wรผrde. So wie man mit einem Steinway auch sofort Klavierspielen kann. Die Bedeutung von Belichtungszeit, Blende, Empfindlichkeit, Brennweite, Schรคrfentiefe etc. kann man recht schnell lernen. Deren Anwendung erfordert aber Zeit, Muse und Erfahrung.

So sicher wie das Amen in der Kirche kommt dann auch das sรผffisante Gegenargument an mich: โ€œAber du hast doch auch eine teure Ausrรผstung?โ€

Meine komplette Fotoausrรผstung im Urlaub

Das stimmt! Aber ich habe auch die Kenntnisse und Erfahrung, fotografiere im Studio und nehme mir die Zeit zur Bildbearbeitung. Im Urlaub habe ich das Smartphone mit Lightroom Mobile oder maximal meine Sony RX100 III dabei, weil ich hier einen Polfilter nutzen kann und sie hervorragende RAW-Qualitรคt liefert. Du weiรŸt doch was RAW bedeutet? Ich will aber mรถglichst wenig mit mir herumschleppen.

Wenige Tage spรคter bekomme ich dann meistens mitgeteilt, dass man sich zu einer Wechselobjektivkamera entschieden hat, die mit einem Kit-Objektiv gerade im Elektronikmarkt um die Ecke im Angebot war. Der Modusschalter steht auf โ€œAutoโ€ und die Kinder werden noch immer von oben fotografiert.  Und der Hebel rechts am Objektiv steht auf „M“, darum sind die Bilder unscharf. Bedienungsanleitung? Alles zu kompliziert! Ich will ja nur ein paar Fotos knipsen.

โ€œAch, was ich dich aber noch fragen wollte: wie bekomme ich denn die Fotos von der Speicherkarte zu Instagram?โ€

23 Antworten zu „Warum deine Kamera absolut unwichtig ist“

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  1. Nobbi

    Klasse! Passt zu 100%. An der Stelle noch eine Anregung. Habe mir jeweils das passende Buch zur Kamera gekauft und mehr oder weniger jede Zeile verinnerlicht und ausprobiert bis zum geht nicht mehr. Dann die kritische Bildbetrachtung auf einen 4K 40″ TV. Glaubtยดs mir, jede Fehleinstellung wird gnadenlos offen gelegt. Man lernt daraus und ich benรถtige immer weniger eine Nachbearbeitung weil die Einstellungen passen. Fotografiere natรผrlich weiterhin zusรคtzlich im RAW Format fรผr alle Fรคlle. Bin nun seit 2 Jahren dabei und habe immer noch SpaรŸ an der Sache auch wenn man fรผr -den- SchuรŸ einmal um 5 Uhr morgens aufstehen muss.

    1. nachbelichtet

      Nach etwa 12 eigenen DSLRs und etwa 50 Leihgerรคten brauche ich nach 40 Jahren Fotografie (was die Hรคlfte der Zeit auch Teil meines Jobs ist) kein Buch zur Kamera mehr ๐Ÿ˜‰ Ich halte das ohnehin fรผr rausgeschmissenes Geld, da die Autoren nur die Bedienungsanleitung umformulieren und mit ein paar Bildern unterstรผtzen.

      Auf meinem 5k Monitor kann ich die Bildqualitรคt auch ganz gut beurteilen, wobei die absolute Bildschรคrfe fรผr die meisten Anwendungen ohnehin keine Rolle spielt. Wie hรคtten wir sonst vor 15 Jahren mit unseren 6 Megapixel-DSLRs Geld verdienen kรถnnen? ๐Ÿ™‚

  2. Sebastian

    Ja, so siehts aus. Sehr toll geschrieben. Die meisten wollen ein teures Werkzeug, wissen aber nicht wie man es bedient. Inzwischen nutze ich mein Smartphone auch fast nur noch und nicht mehr meine Spiegelreflexkamera. Eben genau, weil es immer dabei ist und auch schneller und bessere Fotos macht (Huawei P30). Gut „bessere“ ist immer Geschmacksache, aber bei 85 % der Fรคlle stimmt das bei mir. Und dennoch weiรŸ ich wie man gute Fotos macht und nicht von oben herab ๐Ÿ˜‰

  3. Andreas

    Das Smartphone kรถnnte oft sogar Fotos machen, die mit anderen Linsen nicht so leicht bis gar nicht machbar sind. So wie ein Smart eben eine Parklรผcke findet, wo der AMG X7 8.0 nicht mal mehr ins Parkhaus passt.

  4. Gero

    Danke fรผr den humorvollen Artikel! Allerdings kenne ich diese Probleme nicht. Bei mir ist es eher anders rum. Meine Freunde, Kollegen etc. sind รผberzeugt, dass sie mit Ihren Smartphones wunderbare Fotos machen kรถnnen. (Stimmt ja auch, nur wenn sie die dann gerne auf einen Quadratmeter an die Wand hรคngen wollen …). Die wenigen, die mich nach einer Empfehlung fรผr eine anspruchsvollere Kamera fragen, habe dann schon Ambitionen, die รผber die Smartphone-Knipserei hinaus gehen.

    Und dann gibt es noch die, die Ihre total veraltete Nikon 7200 verkaufen mรถchten, weil die neue 7500 ja sooo viiieeel besser ist … da mach ich mich schon mal unbeliebt, wenn ich behaupte, daรŸ bei ihren Bildern das persรถnliche Entwicklungspotential um ein vielfaches hรถher ist, als das technische.

    1. Die Anfragen, die klare Ambitionen fรผr die Fotografie als Hobby zeigen, sind bei mir leider sehr gering.

  5. shultzie

    Einfach wunderbar geschrieben! Das kรถnnte man wirklich als Standard verlinken, wenn mal wieder diese Fragen auftauchen. Erst gestern hatte ich eine kleine Einweisung, wie das denn mit Brennweite, Blende und Verschlusszeit funktioniert. Allerdings in dem Fall, weil eine groรŸe Maklerwebsite ihren Mitarbeitern eine Canon 2000D samt 10-18mm Weitwinkel aufs Auge drรผckt, ihnen eine 10-minรผtige Einweisung gibt und dann verlangt, dass perfekte Innenaufnahmen fรผr ein Immobilienportal herauskommen…

  6. tzoumaz

    Vielleicht hast du in 3-4 Jahren Recht. Solange es keine vernรผnftige RAW-Fotografie bei Smartphone-Kameras gibt, bleibe ich meiner Sony-Systemkamera treu. Allerdings: Eine Vollformat-Spiegelreflex mit Wechselobjektiven bis nach Neuseeland schleppen, wรผrde ich heute auch nicht mehr.

    1. Auch du gehรถrst offensichtlich nicht zur angesprochenen Zielgruppe …

  7. Wolfgang Weiland

    feiner Artikel, meiner Tochter konnte ich zeigen, dass selbst ihre einfache canonkompakte einen manuellen modus und bl. 2.8 fรผr portraits mit (bescheidenem Bokeh) hat und sie blieb dabei…

    1. man muss nur seine Werkzeuge kennen …

  8. Hans Nuecke

    Wunderbar analysiert und auf den Punkt gebracht!

    Ich habe รผbrigens (mit etwas schwerem Herzen) meine DSLR mit 3 Objektiven verkauft und gegen eine Sony Rx100 V eingetauscht (fรผr 50% des Erlรถses, dank der nicht neuesten Version Rx100 VII).; und habe bis jetzt die Entscheidung รผberhaupt nicht bereut!
    In den wenigen Situationen, wo ich mit der „alten“ Kamera ev. besser bedient gewesen wรคre (z.B. besserer Zoom) hรคtte ich die wohl eh nicht dabei gehabt, oder ich kann mir anders behelfen.
    Die Vorteile und Kompaktheit der „Neuen“ รผberwiegen deutlich!

    Und ja; notfalls und mit dem richtigen Auge und Kenntnis tut es oft auch ein Smartphone ๐Ÿ˜‰

    1. Ja, die kleine Sony ist klasse. Die einzige Kamera, die ich unterwegs noch mitnehme. Meine DSLRs habe ich nur daheim mit meiner Blitzanlage fรผr Blogfotos im Einsatz oder wenn ich mal eine Firmenveranstaltung, Taufe etc. fotografiere.

  9. Klaus

    Bekanntes Problem, leider habe ich das „Kamera mit Kit-Objektiv, aber die Bilder sind unscharf“ auch schon miterlebt nach ausgiebiger Beratung meinerseits. Man redet manchmal einfach gegen eine Wand, die zu viel Geld hat.

  10. Achim

    Da fรคllt mir sofort der Spruch von Helmuth Newton ein:

    Der Koch: โ€œIhre Fotos gefallen mir, Sie haben bestimmt eine gute Kamera!โ€
    Helmut Newton (nach dem Essen): โ€œDas Essen war vorzรผglich โ€“ sie haben bestimmt gute Tรถpfe!โ€
    Helmut Newton

  11. DD9KWA

    Das ist bei Schnappschรผssen ohne Bearbeitung okay,sonst aber ne steile These. … kleine Linse,weig Lichteinfall,kleiner Sensor (der zudem noch softwareseitig aufgemรถbelt wird),nicht jedes Smartfon kann im RAW Aufnehmen,Ausschnittvergrรถsserungen sind Verlustreich … Sicher … im jpg-Format macht mein Smartfon hier bessere Bilder (im Tageslicht). Aber ein ‚Fotografiercomputer‘ ist schon nen Tikken besser wie ein Handy … noch!

    1. Dein Kommentar zeigt, dass du dich mit der Materie befasst hast und damit nicht zur angesprochenen Gruppe gehรถrst ๐Ÿ™‚

  12. Thomas Dieckmann

    Ich mรถchte auch mehr mit dem Smartphone fotografieren.
    Die Frage die mich diesbezรผglich interessiert.
    Muss ein ein Topmodell sein oder reicht ein gรผnstiges Smartphone, in Bezug auf die verbaute Kamera.

    1. Ein Mittelklasse-Smartphone hat heute eine Bildqualitรคt und Auflรถsung, die vor wenigen Jahren noch dedizierten Digitalkameras vorbehalten war. Und wie ich im Beitrag schreibe: Es liegt nicht an der Kamera, wenn du keine schรถnen Bilder machst.

  13. Hartmut Goldmann

    Feiner und auch sachlicher Kommentar zu einem Zeitgeistproblem! ๐Ÿ™‚

  14. Armin

    Was nรผtzt einem die teuerste und beste Kamera, wenn man nicht damit umgehen kann und die Grundlagen der Fotografie nicht versteht und nicht erlernen will, rein garnichts!

  15. Andreas Pohl

    Alles richtig und total gut geschrieben! Ich werde Teile deines Vortrags auswendig lernen und wiederverwenden, wenn mir diese Fragen gestellt werden (was gelegentlich vorkommt).