Meinung: Warum die Zettelkasten Methode mit Obsidian Quatsch ist

Mit Apps wie Obsidian, Notion, Logseq und wie sie alle heiรŸen, kam auch der Hype der Zettelkasten-Methode und der Atomic Notes. Warum ich nichts davon halte.

Meinung: Warum die Zettelkasten Methode mit Obsidian Quatsch ist

In Deutschland ist die Zettelkasten-Methode gar nicht so bekannt, obwohl deren Schรถpfer (รœberraschung!), Deutscher war. Niklas Luhmann hieรŸ er und war Soziologe. Zettelkasten ist eine Methode, um Wissen zu organisieren und das Gelesene und Gelernte zu organisieren und in Kontext zu setzen.

The Files
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Dazu schrieb Luhmann รผber 90.000 Karteikarten (Zettel), verpasste ihnen eine Indexnummer und steckte sie in einen physischen Schubkasten. Ich will das System hier nicht weiter erklรคren, da es dazu zig Abhandlungen und Videos gibt. Gerade im englischsprachigen Raum erlebt „Zettelkasten“ gerade einen regelrechten Hype – nicht zuletzt durch Programme wie Obsidian, Notion, Logseq usw.

Im Prinzip legte Luhmann fรผr interessante Inhalte in Bรผchern, Ideen, Zitate und Gedanken einen Zettel an und brachte zusammenhรคngende Inhalte in Verbindung. Daraus entstanden Literaturnotizen und daraus wieder permanente Notizen mit Zusammenfassungen in eigenen Worten. Diese Arbeitsweise fรผhrt auch dazu, dass man sie immer wieder mit verschiedenen Zetteln beschรคftigen muss und damit das Wissen vertieft. Heute wรผrde man es eine Datenbank mit Hyperlinks nennen.

Zettelkasten fรผr Blogger und Content-Creator?

Ich habe mich in den vergangenen Wochen sehr ausfรผhrlich damit beschรคftigt und mir รผberlegt, was die Zettelkasten-Methode fรผr Blogger, Content-Creator oder fรผr meinen Job tun kรถnnte. Spoiler: Absolut nichts!

Dabei habe ich festgestellt, dass sich sehr viele dafรผr interessieren und versucht haben, „Zettelkasten“ gewinnbringend fรผr sich anzuwenden. SchlieรŸlich hat der Zettelkasten-Erfinder Luhmann, dank dieser Methode, 58 Bรผcher und unzรคhlige Artikel verรถffentlicht. Hat man den Zettelkasten erst einmal gut gefรผllt, in Literatur- und permanente Notizen gegliedert, braucht man nur noch hineingreifen und das nรคchste Buch entsteht praktisch von selbst. So zumindest die Theorie und Hoffnung, welche das Thema Zettelkasten fรผr viele so attraktiv macht.

If you feel the desire to write a book, what would it be about?
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Tatsรคchlich kann diese Methode hilfreich sein, wenn man zu einem bestimmten Thema, mit einem bestimmten Ziel, Informationen sammelt – etwa in der Forschung oder wenn man ein Buch zu einem Thema schreiben mรถchte. Vielleicht auch noch, wen man EIN groรŸes Hobby hat und sein Wissen darin festhalten und festigen will.

Geht es jedoch um viele unterschiedliche Themen, die hauptsรคchlich aus digitalen Quellen stammen (die sicher auch รœberschneidungen und Gemeinsamkeiten haben kรถnnen) – ist Zettelkasten ein unnรถtiger und verkopfter Weg aus analoger Vergangenheit, der zudem fรผr Dritte kaum nutzbar ist.

Zettelkasten ist meiner รœberzeugung nach auch kein Werkzeug fรผr das Wissensmanagement. Vielmehr ist es dazu da, ein bestimmtes Thema zu strukturieren und zu vertiefen. Sobald es um viele unterschiedliche Themen geht, bringt Zettelkasten gar nichts, auรŸer zusรคtzlichem Aufwand.

Luhmann konnte nicht auf Mรถglichkeiten zurรผckgreifen, wie wir sie heute mit Wikis oder Apps wie Obsidian, Loqseq, Notion etc. zur Verfรผgung haben. Es war noch eine Welt, in der Wissen auf Papier verbreitet und festgehalten wurde. Er hรคtte also entweder Seiten aus den Bรผchern reiรŸen, sie physisch kopieren, zuschneiden und einkleben mรผssen oder er konnte Fragmente daraus in seinem Zettelkasten verewigen.

Wir kรถnnen heute beliebige Inhalte mit Copy-and-Paste einfรผgen, abfotografieren oder ganze Bรผcher, Paper, Webseiten und Magazine als PDFs speichern und durchsuchbar machen.

Verbundene Notizen im Obsidian-Graph

Zettelkasten ist nichts anderes als die Verlinkung und Zusammenfassung von Notizen und Anmerkungen. Dazu kann man etwa in Obsidian Links, die Fuzzy-Suche, Tags oder einfach Keywords und Ordner verwenden. Wenn ich etwa zum Thema Home Assistant Themen recherchiere, bekommen die einzelnen Notizen das Tag „HA“. Auch bei Home Assistant kommen Themen wie Docker oder Backup auf. Die lassen sich ganz einfach mit vorhandenen Notizen verlinken.

Luhmann konnte seinem Schrank nicht einfach sagen: Gebe mir schnell mal alle Karten zum Thema XY der letzten 2 Jahre. In der digitalen Welt ist das eine Grundfunktion. Er war dazu verdammt, allen Notizen einen Index zu geben und diesen zumindest einmal an einem anderen Ort zu referenzieren. Er hรคtte in seinen 90.000 Zetteln sonst nie mehr etwas gefunden.

Eine schnelle Suche in Obsidian liefert auch alle Inhalte

Grรผnde, warum viele am Zettelkasten scheitern

Verfolgt man die Diskussionen in verschiedenen Foren, bei Reddit, wie auch im Obsidian-Forum stellt man fest, dass viele bei der Umsetzung der Zettelkasten-Methode scheitern. Oft sorgt sie fรผr unnรถtige Arbeit, ohne einen wirklichen Mehrwert und Erkenntnisgewinn zu bringen. Viele versuchen beinahe verzweifelt, die Methode anzuwenden, scheitern dabei und fragen sich, was sie falsch machen.

person holding white printer paper
Photo by Kelly Sikkema on Unsplash

Sie machen gar nichts falsch: Zettelkasten ist einfach eine Methode

  • die momentan gehypt wird
  • nur fรผr wenige Anwender sinnvoll ist
  • aus einer anderen Zeit stammt,
  • und ggf. noch am ehesten fรผr die Forschung und eng begrenzte Themen geeignet scheint.

Eine digitale Notiz kann heute so lang sein, wie sie will und man kann sie so oft verรคndern, ergรคnzen und erweitern, wie man mรถchte. Obsidian Plugins kรถnnen automatisch Inhaltsverzeichnisse generieren. Dataviews erzeugen automatisch und dynamisch Zusammenhรคnge und schaffen Kontext. Hat man erst einmal eine solche umfangreiche Notiz, ist es mit Obsidian ein Klacks, diese nachtrรคglich in kleinere Themen aufzuteilen oder umgekehrt.

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Luhmann schrieb seine Notizen gar auf sehr dรผnnes Papier, um physischen Platz in seinen Kรคsten (und seinem Bรผro) zu sparen. Bei den Giga- und Terabyte an gรผnstigem Speicherplatz, ist das heute egal und man hat den Luxus, die komplette Quelle speichern zu kรถnnen.

Fรผr digitale Werkzeuge ist die Verlinkung von Inhalten eine Grundfunktion. Es ist meist sinnlos, einen analogen Workflow 1:1 in die digitale Welt รผbernehmen zu wollen, was viele Zettelkasten-Fans beinahe sklavisch tun – inklusive Indexnummern, hochkomplexen Templates etc. Ich habe oft den Eindruck, dass es eher darum geht, Zettelkasten auf Biegen und Brechen umzusetzen, weil es schick und angesagt ist.

Daher nutze ich Obsidian mit Verlinkungen, Tags und Dataviews, wo es sinnvoll erscheint. Aber es muss nicht jede Notiz mit einer anderen in Verbindung stehen, was sie bei meinen vielen Interessen und Themen ohnehin nicht kann. Die hervorragende Suchfunktion von Obsidian bringt die Inhalte hervor, die relevant sind – ganz ohne aufwendige Nacharbeit mit „Literaturnotizen“ und „Permanenten Notizen“.

Meine Alternative zum Zettelkasten: Die groรŸe Leinwand

Wenn es um ein Thema geht, zu dem ich umfangreichere Inhalte und Quellen sammle, werfe ich diese in eine Datei und mache dort meine Anmerkungen und Notizen. Das schafft einen besseren und schnelleren รœberblick, als die „atomaren“ Informationseinheiten (Fleeting Notes), die erst im Nachgang zu grรถรŸeren Informationseinheiten zusammengefasst werden mรผssen. In Obsidian kรถnnen selbst รœberschriften, Aufzรคhlungen und Abschnitte referenziert werden – so es denn nรถtig ist.

Viele Fragen drehen sich bei der Zettelkasten-Methode darum, wie man nun die vielen kleinen Notizen behandelt, wohin man sie speichert usw. Mit einer groรŸen Datei pro Thema ist dieses Problem gelรถst, bevor es entsteht. Jedem Eintrag darin ein Erstellungsdatum geben (kann man auch automatisieren), von Obsidian noch ein Inhaltsverzeichnis aus den รœberschriften generieren und aktualisieren lassen und der Drops ist gelutscht!

In die groรŸe Notiz kommen nur die wirklich relevanten Inhalte. Ich mache dumme Notizen und keine smarten Notizen. Wichtig ist nur: Ich mache sie schnell und einfach, damit ich mich daran erinnere und ich muss sie wieder finden.

Ich organisiere hier auch nicht viel und wenn, dann erst zu einem spรคteren Zeitpunkt. Hat man erst einmal eine nennenswerte Sammlung an Inhalten, stellt man fest:

  • Welche Struktur fรผr eine sinnvolle Organisation sinnvoll ist
  • Wie viel davon schon wieder veraltet ist und gelรถscht werden kann

Also nicht vorher den Kopf darรผber zerbrechen, was die ideale zukรผnftige Ordnerstruktur etc. wรคre, sondern dann darรผber entscheiden, wenn darรผber entschieden werden kann und muss.

Viele Notizen sind auch insofern รผberflรผssig, als man sehr viel schneller und aktueller googeln kann. Dazu muss ich sie nicht in meiner eigenen „Datenbank“ haben.

Die wichtigsten Funktionen, die eine Software fรผr Notizen mitbringen muss:

  • Man muss sie einfach und schnell zur Verfรผgung haben (Mobil!) und bedienen kรถnnen
  • Sie muss eine hervorragende Suchfunktion mitbringen
  • Die Inhalte sollten in einem Format gespeichert werden, das nicht von der Software abhรคngt (weshalb ich Obsidian und Markdown so sehr mag)

Selbstoptimierung, PKM und Data-Hoarding

Man muss auch das Thema Personal Knowledge Management (PKM) grundsรคtzlich kritisch betrachten:

Data-Hoarding ist ein Problem, mit dem sich viele konfrontiert sehen. Gerade im Zuge des Selbstoptimierungswahnsinns, wird auf Teufel komm raus alles gesammelt, mit Tasks versehen, notiert, sortiert, priorisiert usw. Dabei bleibt das entspannte Nachdenken auf der Strecke.

Genau das ist aber wichtig, wenn man nach Ideen sucht. Darum kommen diese auch eher unter der Dusche oder auf der Toilette ๐Ÿ˜‰ und selten am Schreibtisch. Langeweile ist fast ein Garant fรผr neue Ideen.

Manch einer verbringt mehr Zeit damit, sein PKM-System zu optimieren und zu pflegen, als daraus eigene Inhalte entstehen zu lassen. Ich sammle Informationen, um daraus einen interessanten Blogbeitrag entstehen zu lassen, nicht des Sammelns wegen.

Viele Inhalte sind heute schon nach kurzer Zeit รผberholt und kรถnnen besser, aktueller und schneller gegoogelt werden. Darum haben viele meiner Notizen ein „Verfallsdatum“. Notizen, die ich z. B. zu einer bestimmten Anwendungsversion gemacht habe, sind vermutlich nach 2 Jahren รผberholt und werden dann auch gelรถscht.

Als ich mit meinen Notizen von Evernote zu Obsidian umgezogen bin, nutzte ich die Gelegenheit gleich dazu, einmal umfangreich auszumisten. Mehr als die Hรคlfte der Inhalte, die in fast 15 Jahren Evernote-Nutzung entstanden, konnte bedenkenlos gelรถscht werden, da sie รผberholt oder nicht mehr relevant waren.

Und da kommen wir zu …

The Collectorโ€™s Fallacy

Die Collectorโ€™s Fallacy (Sammler-Illusion) beschreibt unsere Tendenz, Informationen zu sammeln und zu archivieren, ohne sie tatsรคchlich zu lernen oder zu verinnerlichen.

Der Zettelkasten, aber natรผrlich auch Obsidian und andere Programme verleiten geradezu, jeden Schnipsel an Information zu sammeln und zu horten. Eines Tags wird er schon einmal nรผtzlich sein – Hauptsache, nicht verlieren.

files, paper, office
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Wir fรผhlen uns belohnt, wenn wir Dinge sammeln, sei es physische Kopien von Texten oder digitale Lesezeichen. Ein prall gefรผllter Zettelkasten oder Obsidian-Vault mit vielen Verlinkungen, sieht beeindruckend aus und war viel Arbeit. Darum hat er fรผr uns einen gewissen Wert.
Das Problem dabei ist, dass das bloรŸe Sammeln von Informationen nicht dasselbe ist wie das tatsรคchliche Verstehen und Anwenden dieser Informationen.

  • Beispiele fรผr die Collectorโ€™s Fallacy:
    • Physische Kopien von Texten: Studierende kopieren oft viele Texte, lesen sie aber nicht wirklich. Die Stapel von Kopien werden zu einem Alibi, das vorgibt, dass sie den Inhalt bereits kennen.
    • Digitale Lesezeichen: Wir speichern interessante Webseiten als Lesezeichen, aber das bedeutet nicht, dass wir den Inhalt wirklich verstanden haben.
  • Warum passiert das?
    • Das Sammeln von Informationen ist einfach. Wir erhalten sofort physische oder digitale Kopien als Belohnung.
    • Wir konditionieren uns selbst, รคhnlich wie Skinner Tauben konditionierte: Wenn wir auf โ€žKopierenโ€œ klicken, erhalten wir sofort Papierstapel oder digitale Lesezeichen und Notizen. Das fรผr auรŸerdem dazu, dass wir glauben, etwas Sinnvolles oder Wichtiges getan zu haben.
  • Warum ist das ein Problem?
    • Echtes Wissen erfordert, dass wir Informationen in unser eigenes Wissen integrieren.
    • Nur das Ablegen von Dingen fรผhrt nicht zu Fortschritt oder Verรคnderung.

Fazit

Zettelkasten war fรผr Niklas Luhmann ein analoger Weg, sein Wissen zu konservieren und es war eine Methode, die fรผr ihn in einer Welt aus Papier funktionierte. Sein hoher Output an Bรผchern, Verรถffentlichungen etc., kam aber sicher nicht wegen seiner Zettelkasten-Methode. Sie war Teil seiner persรถnlichen Arbeitsweise und seiner Disziplin. Damals war die Methode aber sicher bemerkenswert und revolutionรคr.

Notetaking-Apps helfen heute beinahe automatisch dabei, Inhalte in Verbindung zueinander zu bringen. Das geht weit รผber das hinaus, was Zettelkasten zu leisten vermochte und vermag, denn die Apps kรถnnen Zusammenhรคnge finden, an die wir selbst nicht gedacht hรคtten. In einer Zeit, in der immer mehr Informationen auf uns einprasseln, ist das auch notwendig.

Man kann sogar ChatGPT in Obsidian integrieren und das findet auf Wunsch Themen รผber den ganzen Vault, kann sie zusammenfassen, Anregungen und Zusammenhรคnge liefern. Mit einem Klick erstellt man aus diesen Erkenntnissen eine schรถn gegliederte Notiz, die (hoffentlich) echte Erkenntnisse liefert. Luhmann wรคre vermutlich begeistert gewesen und hรคtte damit vielleicht 100 Bรผcher geschrieben.

Auf der Seite des Niklas Luhmann Archivs steht daher am Schluss:

Durch das Multiple-storage-Prinzip und die an Hyperlinks erinnernde Verweisungstechnik simulierte Luhmann trotz der analogen Speichertechnik also schon seit den 1950er Jahren ein modernes, computergestรผtztes Datenbanksystem.

Niklas Luhmann-Archiv (niklas-luhmann-archiv.de)

Ich bin รผberzeugt davon, dass Luhmann heute auch einfach eine Software wie Obsidian nutzen wรผrde. Allein schon deshalb, weil er damit seine Notizen immer dabeihaben kรถnnte. Das war mit seinem Holzkasten nicht mรถglich und er hรคtte weniger Zeit mit der Verwaltung der Notizen verbringen mรผssen.

Letzte Aktualisierung am 12.07.2025 / Affiliate Links / Bilder von der Amazon Product Advertising API

8 Antworten zu „Meinung: Warum die Zettelkasten Methode mit Obsidian Quatsch ist“

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  1. Sven

    Zuerst einmal mรถchte ich mich fรผr den interessanten Beitrag bedanken!

    Trotzdem wรผrde ich gerne meine Gedanken zum Thema Zettelkasten teilen, da ich das Gefรผhl habe, dass die Methode etwas missverstanden wird.

    Das Hauptproblem, mit dem Beitrag ist die Sicht auf den Zettelkasten als reine Notiz-Organisationsmethode. Und als solche kann ich die darauf aufbauende Argumentation zu 100% nachvollziehen und denke, dass viele Probleme bei der Anwendung der Methode aus genau diesem Missverstรคndnis resultieren.

    Der Zettelkasten ist viel mehr als nur eine Sammlung von Notizen. Er ist ein aktives Werkzeug, das uns dabei unterstรผtzt, Wissen zu vernetzen, neue Ideen zu entwickeln und komplexe Themen besser zu verstehen. Das Wieso erklรคrt sich, wenn man sich die Arbeitsweise Luhmanns etwas genauer anschaut.

    Jede neue Notiz wurde von Luhmann bewusst in den bestehenden Zusammenhang eingeordnet, wodurch ein stรคndiger Austausch seiner Gedanken mit bereits vorhandenen Wissen stattfand. Dieser iterative Prozess des Vergleichens, Einordnens und Verknรผpfens fรผhrte zu einer systematischen Erweiterung und Vertiefung seines Wissens.

    Die physischen Beschrรคnkungen seiner analoger Methode โ€“ etwa der begrenzte Platz auf den Indexkarten โ€“ zwangen ihn zu einer konzentrierten Auseinandersetzung mit dem Text. Anders als beim einfachen Copy & Paste digitaler Inhalte musste er die Essenz des Gelesenen extrahieren und prรคgnant formulieren. Diese aktive Form der Auseinandersetzung fรถrdert ein tieferes Verstรคndnis des Stoffes und festigt das bereits Gelernte nachhaltiger.

    Im Gegensatz dazu tendieren digitale Systeme dazu, eine Enzyklopรคdie des persรถnlichen Wissens zu werden. Die einfache Verlinkbarkeit von Inhalten fรผhrt oft zu einer unรผberschaubaren Menge an Informationen, die an die Struktur von Wikipedia erinnert. Dadurch geht der persรถnliche Fokus und die Tiefe der Auseinandersetzung mit einem Thema oft verloren. So ist der persรถnliche Zettelkasten eigentlich nur ein schlechtes Bookmarking oder Brain-Dump Tool mit veralteten Informationen die man vermutlich einfacher und besser Googlen kรถnnte.

    Luhmanns Zettelkasten war eng an seinen Forschungsbereich gebunden. Er stรผtzte sich vorwiegend auf Bรผcher und wissenschaftliche Artikel, deren Inhalte oft eine lรคngere Halbwertszeit aufweisen als flรผchtige digitale Informationen. Die Einbindung von Literaturangaben in die Notizen erleichterte ihm die spรคtere Erstellung eigener Publikationen erheblich.

    Den meisten Leuten die heutzutage mit der Zettelkasten Methode in Kontakt kommen, fehlt eine wichtige Sache, die fรผr den Erfolg eines Zettelkasten maรŸgeblich ist – Das Ziel. Ein Zettelkasten ohne Ziel ist am Ende genau das was hier kritisiert wird, eine Anhรคufung verschiedenster Notizen/Informationen mit unnรถtig komplexer Digitalisierung analoger Prozesse.

    Fehlt ein Ziel, bietet ein Zettelkasten keinen Mehrwert und verkommt zu einer unstrukturierten Sammlung von Notizen, die unnรถtig kompliziert (basierend auf digitalisierter analoge Beschrรคnkungen) organisiert wird.

    Bleibt am Ende die Frage, inwiefern diese Methode fรผr die eigenen Notizen รผberhaupt notwendig oder sinnvoll ist?

    Wenn das Ziel ist, akademische Artikel oder Bรผcher zu publizieren, komplexes Wissen zu vertiefen oder weiterzuentwickeln, dann ist der Zettelkasten sicherlich auch heute noch eine sehr effiziente Methode.

    Mรถchte man einfach nur eine effektive Methoden seine Notizen zu organisieren, wรผrde ich eher ein System wie PARA von Tiago Forte empfehlen.

  2. Peter Nathschlรคger

    Vielen Dank (wenn auch spรคt) fรผr den tollen Artikel. Mir war und ist der Zettelkastenhype auch ein wenig suspekt, obwohl der ja in den letzten Jahren schon ein wenig nachgelassen hat. Aber so 2021/22, als die ganzen Evangelisten von Obsidian und LogSeq ausritten, um fรผr die neue Methode zu trommeln (und um ihre Helptutorials und kostenpflichtigen Onlinekurse ideologisch-vernรผnftig zu untermauern, lieรŸ ich mich ein wenig mitreiรŸen, habe aber doch sehr schnell รผberzuckert, dass es da darum geht, Wissen zu administrieren und nicht zu gewinnen. Es geht nicht um Erkenntnisgewinn, es geht um die Freude an der formalen Administration.

    Ich benutze Obsidian als Schriftsteller gerne, weil es schnell ist, weil ich Notizen schรถn miteinander verlinken kann, weil ich da alles lokal habe und weil ich, รคhnlich wie bei Libreoffice, beim Arbeiten nicht von der App ausgebremst werde, sondern durch sie hindurch auf den Text blicken kann. Obsidian und Libreoffice nutze ich nun seit einem Jahr auf Linux und ich habe nie zu Windows zurรผckgeschaut.

    Es ist die Einfachheit, die mich รผberzeugt hat. Die Formalfrรถmmelei der Leute, die Digital Gardens anlegen, geht an mir vorรผber. Ja, Struktur muss sein, aber sie allein ist nichts anderes als ein Gerรผst ohne Inhalt.

    Lieben GruรŸ aus Wien!
    Peter

    1. Thorsten

      Danke fรผr den Einblick in deine Erfahrungen. Mir erging es doch recht รคhnlich. Verschiedene Systeme ausbrobiert. Studium war leider knapp vorbei. Fรผr mich reicht die Evolution von Word in Ordnern hin zu Obsidian. Ich liebe es. Schreiben ist wichtig habe ich festgestellt. Hier mache ich mein Linux Hobby und schreibe Texte zu Themen. Mittlerweile nutze ich nebenbei Capacities. Das mach in manchen Anwendungsfรคllen Sinn. Zum Beispiel Meine Personenliste zu unterschiedlichen Tags. Ist da sehr schell und optisch schรถn angelegt. Die arbeiten halt zusรคtzlich mit Sammlungen. Die Integration zu links und mit Bildern gelingt auch gut. Im Browser einen Link an capacities schicken. Ich denke das geht auch alles mit Obsidian. Aber hier schreibt man beispielsweise viel schneller. Ist meine Erfahrung. Da Capacities auch markdown benutzt ist das wie angedeutet meine Evolution. Word und Windows ist halt 90er…

  3. Jรถrg Dieter Koch

    Zunรคchst herzlichen Dank lieber Markus fรผr diesen Beitrag den ich voll und ganz teile insbesondere auch was den Zettelkasten Hype angeht. Da ich es leider nicht so gut formulieren kann freue ich mich besonders wenn ich auf einen Artikel stoรŸe, der mir aus dem Herzen spricht.
    Ein spannender und sehr fundierter Bericht mit der meiner Meinung nach richtigen Schlussfolgerung.
    Gehรถre auch zu denen die sich seit Jahren mit der persรถnlich sinnvollsten Sammlung von Informationen auseinandersetzen und nie zu einem wirklich zufrieden stellenden Ergebnis gekommen sind. Mit Evernote hat es bei mir 2010 glaube ich angefangen und in den vergangenen Jahren habe ich diverse andere Programme ausprobiert. Devonthink, Notion, Logseq, Onenote und diverse andere. Gelandet bin ich seit gut einem Jahr ebenfalls bei Obsidian und damit ziemlich happy. Fรผr mich die bisher flexibelste und zukunftsfรคhigste Lรถsung insgesamt. Obsidian ist allerdings so umfangreich und bietet so viele Mรถglichkeiten dass man sehr gerne schaut welche Vorgehensweise andere anwenden. In diesem Sinne wรผrde ich mir wรผnschen, dass Du uns mal einen Einblick gibst wie Du Obsidian anwendest. Ich wรผrde das besonders bei Dir interessant finden, weil Du ein so unglaublich groรŸes Spektrum an Interessen abdeckst und meiner Ansicht nach sehr professionell beackerst, dass Ich daraus schlieรŸe so etwas funktioniert nur mit einem ausgeklรผgelten Wissensmanagement.
    รœber weitere Beitrรคge zum Thema Obsidian wรผrde ich mich jedenfalls sehr freuen!

    1. Vielen dank fรผr dein Lob! Einblicke, wie ich Obsidian nutze, sind in Arbeit. Allerdings mรถchte ich es auch hier fundiert berichten. Aktuell experimentiere ich noch viel damit.

      Man muss eben nur aufpassen, dass es nicht zum Selbstzweck wird.

  4. Alfred P.

    Hallo, Ich finde, das ist ein interessanter Beitrag, zumal ich auch zu der Kategorie gehรถre, die alles Mรถgliche an Wissens-Datenbanken ausprobiert. Auch bin ich einer von den „Info-Sammlern“, die immer sammeln, dann aber vergessen, zu strukturieren und vor allem: ZU Lร–SCHEN!!!!!!!!
    Ich bin jetzt schon einige Zeit bei OneNote von Microsoft gelandet und bis dato ziemlich zufrieden damit.
    Was mir aber in dem Artikel abgeht, ist das Thema: MINDMAP. Ist das eventuell schon auch eine Alternative? Schon mal ausprobiert? Gibt es Erfahrungen dazu?
    Mit lieben GrรผรŸen: Alfred, Wien

    1. Hi Alfred,

      Mindmaps gehen in Obsidian mit Canvas (ist im Standard dabei), Excalidraw oder Mindmap (beides Plugins) ganz hervorragend und man kann auch gleich Notizen, Gliederungen etc. daraus generieren.
      https://obsidian.md/canvas

  5. Gerrit

    Klasse Beitrag! Ich hab vom Zettelkasten-Hype bis eben noch nichts gehรถrt. Bin wohl auch eher ein Digitalignorant was Personal Knowledge Management betrifft.
    Fand es schon immer schwierig unsere physische Welt digital abzubilden, wo es doch wirklich mit Tags, Keywords und Hyperlinks bessere Mittel gibt, die keine wirklichen Entsprechungen im Realen haben.
    Ich verwende Joplin, weil es einfach und kostenfrei ist. Sicherlich nicht das Beste auf dem Markt, aber es kann Markdown und lรคuft auf Android, iOS und Desktop, und es synchronisiert sich natรผrlich in der eigenen Cloud auf einer NAS.