Instagram – oder warum mich Fotografie oft langweilt

Seit es die Foto-App Instagram auch fรผr Android gibt, geht ein Aufschrei durch die Welt der iPhone Anhรคnger. (Hoffentlich) nicht ganz ernst gemeint, liest man Aussagen wie „Wer Instagram fรผr Android benutzt, soll mir bitte nicht folgen!“ und so weiter. Inwiefern diese Sprรผche lustig sind, oder vielleicht sogar einen Funken pseudoelitรคren Denkens in sich bergen,…

Instagram – oder warum mich Fotografie oft langweilt

Mit Instagram zu fotografieren ist ganz sicher keine Kunst: Einfach einen belanglosen Schnappschuss machen, einen der Instagram-Filter drรผberbรผgeln und ab damit ins Netz. Die Polaroid-Optik im quadratischen Zuschnitt hat irgendwas und macht aus einem belanglosen Pixelhaufen etwas, das irgendwie anders aussieht. Allerdings millionenfach. Hรคtte ein Fotograf vor einigen Jahren konsequent auf diese Optik als Stilmittel gesetzt, wรคre er damit eventuell bekannt geworden.

Fotografie ist keine Kunst

Machen wir uns nichts vor: Heute kann jeder ein gutes Foto machen. Die aktuellen Kameras machen es beinahe schon unmรถglich, technische Fehler bei der Aufnahme zu machen. Aus diesem Grund ist wohl der Trend zur analogen Fotografie so stark: Man mรถchte wieder Fehler machen kรถnnen und will vom Ergebnis รผberrascht werden. Aber noch viel wichtiger ist: Mit einem analogen Foto setzt man sich vom digitalen Pรถbel ab.

Da kann man รผber Ilford Filme fachsimpeln, die man nur schwer bekommt. Da kauft man die analoge Mittelformat, weil man sich damit noch mehr vom Kleinbildfotografen absetzt und plรคtschert genรผsslich im Entwicklerbad. Das Ergebnis sind meistens ebenso belanglose Fotos wie in der digitalen Bilderwelt, ย dafรผr sind sie aber falsch belichtet, unscharf, kรถrnig und genau deshalb irgendwie interessanter – fast so wie bei Instagram.

Diese Fotos werden dann mit Filmscannern wieder in die digitale Welt befรถrdert, weil man sie ja trotzdem jedem aufs Auge drรผcken und zeigen mรถchte, dass man sich vom Mainstream der Digitalfotografen befreit hat.

Sind wir mal ehrlich: Fotografie ist heutzutage deshalb so beliebt, weil es jeder kann! Es ist gรผnstig und man kann mit recht wenig Kรถnnen auch mal eine Anerkennung im Netz erhaschen. Wir lernen aus Myriaden von Fotos in Fotocommunities, bei Flickr, Facebook & Co., wie ein technisch gutes und gut aufgebautes Foto auszusehen hat. Wir haben gelernt mit Goldenen Schnitten, Linienfรผhrung, Lichtaufbau, Langzeitbelichtung und Photoshop umzugehen, wobei ohne letzteren viele Fotos komplett verloren wรคren.

Fotobรผcher

Eine riesige Auswahl an Fotobรผchern erklรคrt uns, wie man ein Foto macht, und fast wรถchentlich kommen neue ย Titel hinzu. Oft sind es Rezepte, die sich kaum von der Montageanleitung fรผr ein Billy-Regal unterscheiden: Sie benรถtigen …, zuerst mรผssen Sie …, bitte beachten Sie … fertig!

Gesรคttigt von so viel Perfektion stรผrzen wir uns auf analoge Fotografie und Fotoaufhรผbscher wie Instagram, da ein technisch gutes Foto langweilig geworden ist.

Wรคhrend man ein Instrument viele Jahre lernen muss, um hier etwas hรถrbares hervorzubringen, liefert die Kamera sofortigen kreativen Erfolg – auch fรผr den weniger kreativen Menschen.

Streetphotography – es muss doch irgendwo ein Motiv geben

Aus der kreativen Ratlosigkeit heraus treiben sich selbst in Kleinstรคdten tรคglich Dutzende von Fotografen auf der StraรŸe herum, um zwanghaft ein kรผnstlerisch interessantes Fotos zu schieรŸen. Hier werden arglose Passanten abgelichtet, angekettete Fahrrรคder an maroden Hausmauern ins Visier genommen oder vorbeifahrende Autos mit viel Bewegungsunschรคrfe fotografiert – vorzugsweise in SchwarzweiรŸ.

Der StraรŸenfotograf

Eine alte Frau, die eine StraรŸe hinabgeht, von hinten zu fotografieren, macht nur selten ein interessantes Foto, da kann man es noch so lange in Lightroom S/W konvertieren, den Kontrast erhรถhen und Kรถrnung hinzufรผgen, oder gar mit einer Messsucherkamera fotografieren.

Viele Personen fรผhlen sich durch die Fotos aus dem Hinterhalt einfach belรคstigt, und da muss ich ihnen auch Recht geben. Auf der Jagt nach einem Foto – irgendeinem Foto – ist mittlerweile aber scheinbar alles zulรคssig.

Fotos sind ein Massenprodukt ohne Wert

Der Wert eines Fotos liegt nur noch im eigenen Empfinden dafรผr. Birgt es Erinnerungen, hat es einen Wert. Dabei muss diese Erinnerung noch nicht einmal im Bild festgehalten sein. Wir sehen eines unserer Fotos und erinnern uns vielleicht an den Ort und die Umstรคnde. unter denen es gemacht. Diese Gedanken sind dabei oft wertvoller als der eigentliche Bildinhalt.

Die Flut der Bilder. die auch mich jeden Tag รผberrollt, wenn ich meinen Feedreader anwerfe, fรผhrt dazu, dass ich wirklich nur noch sehr selten Fotos als interessant wahrnehme. Alles war schon da, alles folgt einem kurzen Trend, nichts bleibt wirklich hรคngen. Man erkennt die Fotos, die auf Biegen und Brechen interessant und ambitioniert sein wollen.

Versteht mich bitte nicht falsch: Ich fotografiere gern. Ich respektiere die Arbeiten anderer Fotografen. Ich bin mittlerweile aber auch sehr gelangweilt von der tรคglichen Bilderflut. Es gibt nur selten Fotos, die mich verweilen lassen und die mich, wie im Fall des „Tรผtรผ-Projekts“, das ich beim Blognachbarn Martin entdeckt habe, sogar zum Lachen bringen und neugierig machen.

17 Antworten zu „Instagram – oder warum mich Fotografie oft langweilt“

  1. Grundsรคtzlich hast du Recht. Ich denke, es ist mittlerweile unglaublich schwer geworden ein schlechtes Foto zu machen, es ist nicht mehr mรถglich รผberhaupt noch falsch zu belichten, die Kamera macht alles. Dennoch gehรถrt in manchen Bereichen, z.B. bei der Sportfotografie dennoch Kรถnnen dazu. Aber auch das kann ein Laie natรผrlich lernen.

    Dennoch, das verurteilen der StraรŸenfotografen gefรคllt mir nicht, es ist natรผrlich erstmal frech dass die Jungs(und Mรคdels) einfach Menschen fotografieren, natรผrlich ohne zu fragen und natรผrlich verschwinden diese einfach wieder und laden das Bild dann klammheimlich in die Communitys dieser Welt hoch. Aber es gibt uns eins: Es zeigt den aktuellen Zustand unserer Welt. Es hรคlt den Moment der Menschen fest und zeigt wie wir leben. Das ist fรผr uns jetzt grade natรผrlich unglaublich unspannend. Aber was soll ich denn meinen Enkelkindern denn mal zeigen? 1000 Instagram Bilder von Blumen, Essen und Sonnenschein Bildern? Nein, ich will zeigen wie wir ausgesehen haben und wie die Menschen in unserer Umgebung so unterwegs waren. Das, ja das macht diese ach so freche Streetfotografie. Eigentlich. Und im Grunde gab es das ganze schon immer. Nur damals hat man einfach mehr Fotos von den Menschen gemacht und nicht nur von dem Essen. Damals. Jetzt in der Paranoiden Datenschutz Welt ist sowas schon fast verpรถnt.

    1. Das ist ein interessanter Gedanke.

  2. sehr provokativ, der herr… ๐Ÿ™‚ natรผrlich kann fotografie kunst sein. ob kunst oder nicht entscheidet letztendlich nur dies: was lรถst es im betrachter aus? so wie in jeder kunstform geht es nicht um technik, sogar nicht einmal um ausdruck sondern allein um die wirkung auf den betrachter. stell dir mal die frage: warum gibt es menschen, die fotografien aufhรคngen, sie sogar kaufen, auch wenn der kรผnstler unbekannt ist? genau: weil es ihnen gut tut. gute bilder lรถsen etwas aus, tรคglich. vielleicht nicht immer dasselbe, aber doch immer etwas, was den betrachter berรผhrt. die aufgabe jeglicher kunst ist es, den menschen mit etwas in kontakt zu bringen, das ihm im alltag fast immer fehlt. wenn eine fotografie dies kann, ist sie kunst.

  3. sehr provokativ, der herr… ๐Ÿ™‚ natรผrlich kann fotografie kunst sein. ob kunst oder nicht entscheidet letztendlich nur dies: was lรถst es im betrachter aus? so wie in jeder kunstform geht es nicht um technik, sogar nicht einmal um ausdruck sondern allein um die wirkung auf den betrachter. stell dir mal die frage: warum gibt es menschen, die fotografien aufhรคngen, sie sogar kaufen, auch wenn der kรผnstler unbekannt ist? genau: weil es ihnen gut tut. gute bilder lรถsen etwas aus, tรคglich. vielleicht nicht immer dasselbe, aber doch immer etwas, was den betrachter berรผhrt. die aufgabe jeglicher kunst ist es, den menschen mit etwas in kontakt zu bringen, das ihm im alltag fast immer fehlt. wenn eine fotografie dies kann, ist sie kunst.

  4. Hans

    und unter dem Beitrag eine Werbeanzeige „Fotografie fรผr Dummies“

    1. Dafรผr kann ich nix ๐Ÿ™‚

      1. Ja, ja das sagen sie alle ๐Ÿ˜‰ Aber irgendwie hat Hans da natรผrlich recht.
        Wรคhrend ich mittels Scanner gerade einen Mittelformat-Film „in die digitale Welt befรถrdere“… *grins*

  5. Georg

    klingt irgendwie als ob der, der selbst glaubt fotografieren zu kรถnnen, beleidigt ist darรผber dass das jetzt vielen anderen auch gelingt, dass es vielen anderen nun auch mรถglich wurde, weil die preisliche und technische Hรผrde immer geringer wird.

    1. Nein, so ist es nicht, sonst wรผrde ich hier sicher nicht seit Jahren Tipps geben. Vermutlich regt es mich nur auf, dass man nur noch von ambitionierten Fotografen umgeben ist und eben genau das langweilig ist. Beim Kochen verhรคlt sich das aber schon fast รคhnlich: Seit es die ganzen Kochsendungen gibt, ist auf einmal jeder ein Spitzenkoch, auch wenn er 20 Jahre lang nur Dosenravioli aufgewรคrmt hat.

      Jeder entdeckt jetzt die groรŸe Leidenschaft zur Fotografie und „drรผckt sich damit aus“ – aus einem einfachen Grund: Es ist einfach! Warum spielt nicht auf einmal jeder Zweite Klavier oder Gitarre? Weil es nicht einfach ist!

      1. Wieso gibst Du seit Jahren Tipps, wenn Fotografie so einfach ist? Mit Verlaub, ein ansehnliches Bild zu produzieren, ist auch heute noch nicht einfach. Die Ausrรผstung ist preiswerter als frรผher, die Technik verbreiteter – und von den vielen ambitionierten Fotografen werden sicher auch viele die Lust verlieren, eben weil es nicht so einfach ist wie es aussieht. So ist es mit Hypes, die kommen und gehen.

        1. Weil es durch diese ganzen Tipps sehr einfach geworden ist! Und es wird sicher nicht weniger werden, sondern immer mehr werden! Fotografie ist in der Masse (sprichwรถrtlich) angekommen und das ist auch gut so und es wird bestimmt nicht weniger werden.

  6. Ich denke, ein Foto sollte eine Geschichte erzรคhlen oder eine erzรคhlte Geschichte ergรคnzen. Einigen Fotografen gelingt das sogar im Alltรคglichen, mit angeketteten Fahrrรคdern an einer maroden Hausmauer. Manche Bilder transportieren Emotionen, andere nicht. Am Ende entscheidet der Blick des Betrachters – das Weizenfeld mit Mohnblume von van Gogh weckt sicherlich auch nicht in jedem Gefรผhle, in mir schon. Viele Bilder sind fรผr mich vรถllig belanglos, andere bedeuten mir etwas, weil sie mich an eine Situation, eine bestimmte Atmosphรคre oder eben ein Gefรผhl erinnern. Mag sein, dass sich die Zahl an (fรผr mich) unbedeutenden Bildern erhรถht hat, gleichzeitig hat sich aber auch die Zahl an bewegenden Bildern erhรถht. Und wenn mich eins davon nur fรผr eine Minute woandershin bringt oder mir einen Aspekt offenbart, an den ich vorher nie gedacht habe, dann war dieses Bild die Flut des Restes wert.

  7. Ja, da ist schon was dran. Zum Teil fรผhle ich mich tatsรคchlich sogar ein bischen ertappt… Aber letztendlich fotografiere ich, weil es mir einfach Spass macht. Und ja, auch ich fotografiere gerne analog (sogar Mittelformat!) und meistens kommt dabei keine groรŸe Kunst heraus. Aber: Es mach mir Spass und deswegen hรคlt sich mein schlechtes Gewissen in Grenzen ๐Ÿ˜‰

    1. Und das sollst du natรผrlich auch: SpaรŸ haben und es muss eben nicht immer die groรŸe Kunst sein!
      Das Lustige daran ist ja, dass mich manches Instagram Foto mehr begeistern kann, als irgendwas vermeintlich hochtrabendes aus der analogen Mittelformat. Gerade die, die vollkommen arg- und ahnungslos an die Sache rangehen, machen oft die interessantesten Bilder.

  8. Ivi

    Ich schreibe meinen Blog eigentlich nur fรผr mich und ja klar verรถffentliche ich Bilder aber meistens mit dem hintergrund, dass ich mich spรคter an die Situationen und Erlebnisse erinnern mรถchte und ich blรคttere gern durch, ich wรผrde keinen Anspruch erheben, dass es Kunst ist. Nur weil nicht jedes Foto ein Kunstwerk ist, womit ich dir recht gebe, blรคttere ich teilweise sehr gerne durch andere Fotos. Ein bisschen wegtrรคumen aus dem Alltag in dem man gerade ist ๐Ÿ™‚

  9. Simon

    Recht hast du wohl! Es gibt immer einen Zustand oder eine รœberzeugung, von der man auf andere „hinabschaut“. Irgendwann scheint man oben angekommen zu sein und dann wird es langweilig. Was man dagegen machen kann… man weiรŸ es (nicht).

    1. Hm, ich fรผhle mich รผberhaupt nicht oben angekommen, weshalb ich wohl auch nur ganz selten Bilder verรถffentliche da ich der Meinung bin, dass diese fรผr viele sehr uninteressant sein dรผrften.