So richtig aufmerksam auf die digitale Audio Workstation (DAW) Reaper von Cockos (der Firmeninhaber ist รผbrigens kein geringerer als der Winamp- und Gnutella-Erfinder Justin Frankel), wurde ich durch viele „Mix-Rescue“ Beitrรคge im britischen Recording-Magazin „Sound On Sound“. Hier werden die amateurhaften und teilweise missglรผckten Aufnahmen von Kรผnstlern und Bands repariert und neu gemischt. Sehr hรคufig trat hier Reaper in Erscheinung, was mein Interesse weckte.

Software muss sexy sein!
Fรผr mich war Reaper immer etwas unzugรคnglich, weil man die Stรคrken dieser DAW nicht unbedingt auf den ersten Blick erkennt. Dem ersten Blick gehรถrt leider oft die Optik einer Software (wobei man das wohl auf das ganze Leben ausdehnen kann) und nicht deren inneren Werten.
Hier hatte Reaper fรผr mich immer ein bisschen das „Shareware-Image“. Keine polierten GUI’s und Benutzeroberflรคchen wie bei Steinbergs Cubase, Cakewalk Sonar, Apples Logic, Presonus StudioLive, Samplitude … you name it …
Allerdings war Reaper optisch fรผr mich immer sehr nahe am Industriestandard Protools und das wohl nicht von ungefรคhr, hat Reaper doch die meisten Anhรคnger im angloamerikanischen Raum.
Eine DAW, die sich nach dem Anwender richtet
Was mich an Cockos‘ Reaper begeistert ist die vollkommen freie Anpassbarkeit der Benutzeroberflรคche und der Bedienung. Reaper ist skin-fรคhig, man kann diese DAW also vollkommen nach seinen Wรผnschen anpassen. Es gibt fertige Themes die nach Protools, Cubase, Logic, Ableton oder nach bekannten Studiokonsolen wie SSL und Neve aussehen.

Es lassen sich aber auch alle Menรผs, Farben und Tastenkรผrzel nach den eigenen Vorstellungen anlegen, was den Wechsel von einer anderen Audioworkstation erleichtert. รberhaupt gibt es keine รผberfrachtete Werkzeugleiste mit einem Icon fรผr jeden Handgriff. In Reaper geht alles mit wenigen Mausklicks und man sollte vor allem die rechte Maustaste bei jeder Funktion ausprobieren.
Ein Dock, in dem Mixer, MIDI-Editor, Media-Manger etc. abgelegt werden kรถnnen, freie Workspaces, automatisch abgestufte Spurfarben und Automation fรผr absolut jeden Parameter – alles geht.
Route 66 – du sagst wo es hingehen soll
Ein weiterer Pluspunkt und praktisch ein Alleinstellungsmerkmal oder USP (hey, mit dem Unique Selling Point habe ich gerade 10 Punkte beim Bullshit-Bingo gewonnen!) ist das extrem flexible Routing in Reaper.

Es gibt nur eine Kanalart, die Audiokanal fรผr Mono- oder Stereosignale, aber auch MIDI-Kanal, Aux-Return, Subgruppe, Videospur oder sonst was sein kann. Es ist auch vollkommen egal welche Signalquelle ich wo hinrouten mรถchte. Das mag den Einsteiger etwas รผberfordern, erschlieรt aber ungeahnte Mรถglichkeiten bei der Klangbearbeitung.
Plugins und Sound
Ich mรถchte jetzt nicht in die Diskussion einsteigen, ob jede DAW gleich klingen wรผrde. Aus meiner Erfahrung heraus mรถchte ich nur sagen, dass der Sound einer DAW wohl den geringsten Einfluss auf die Produktion hat. Ein halber Zentimeter unterschied bei der Position eines Mikros vor dem Gitarrenverstรคrker hat mehr Einfluss auf den Klang als DAW, esotherische Preamps oder ein x-beliebiges Plugin.

Die mitgelieferten REA-Plugins klingen gut, haben viele Einstellungsparameter und umfassen alles, was man fรผr eine Produktion wirklich braucht. Das REA-Gate extrahiert mal schnell aus einer Kickdrum die Transienten und wandelt sie in MIDI-Noten um, mit denen sich die vermurkste Bassdrum gegen Samples ersetzen lรคsst.
Der ReaEQ hat beliebig viele Bรคnder, kann auch echte Notch-Einstellungen und klingt besser, als die meisten Onbord-EQs der bekannten DAWs. Die ReaPlugins kann du รผbrigens kostenlos herunterladen und auch in deiner DAW benutzen.
In Sachen Sound kann ich keinerlei Unterschiede zu anderen DAWs feststellen. Ich habe es mit Interfaces von MOTU, Focusrite und RME probiert. Die Aufnahmen sind (bei gleichem Interface) absolut identisch zu anderen DAWs.
Im Kreise der „groรen“ DAWs angekommen
Mit der Version 4 hat Reaper endgรผltig zu den groรen DAWs der Branche aufgeschlossen. Die Benutzeroberflรคche ist modern und รผbersichtlich und vermittelt nun auch einen wertigen Eindruck. Unter der Haube sind die flexiblen Anpassungsmรถglichkeiten geblieben.
Die Anzahl der Neuerungen und Verbesserungen ist unglaublich und die Features die bei Cockos mit viel Understatement als „Subheadline-Features“ bezeichnet werden, wรคren bei manch anderem Hersteller alleine eine „groรe“ Versionsnummer wert. Wem das nicht genรผgt, kann die Funktionsvielfalt noch mit den Erweiterungen von SWS ergรคnzen, oder eigene Effekte und Funktionen schreiben.
Wenn man sich mit Reaper einlรคsst, entdeckt man nach und nach, dass es fรผr praktisch jedes Problem und jeden Wunsch bereits eine Funktion, ein JS-Plugin oder einen Workaround gibt.
Oft war die MIDI-Funktionalitรคt von Reaper ein Grund zur Kritik. Ich habe allerdings noch keine MIDI-Funktion vermisst. Auch das destruktive Audio-Editing ist kein Grund zu Kritik und lรคsst sich sogar nahtlos mit externen Audioeditoren, wie der Freewareย Wavosaur oder dem preiswerten Acoustica 5 auf das Niveau anderer DAWs hieven – und darรผber hinaus.

Ich persรถnlich mรถchte mir meine Plugins und Instrumente ohnehin selbst zusammen suchen und habe ganz unterschiedliche Favoriten. Die Beigaben der meisten DAWs nutze ich ohnehin nur selten.
รbrigens hat sich eine Kombination aus Ableton Live und einer eher audiolastigen DAW fรผr mich als ideal erwiesen. Mit Ableton Live lรคsst es sich konkurrenzlos schnell komponieren und arrangieren und per Rewire oder den Export der gerenderten Spuren als Stems, kann Live auch in andere DAWs eingebunden werden. Fรผr das Mixing und Mastering gehe ich dann auf eine andere DAW – und noch wohl immer รถfter zu Reaper 4.
Neues in Cockos Reaper Version 4.0
Mit der 4er Version kommt eine nagelneue Benutzeroberflรคche mit noch individueller konfigurierbaren Tracks und Mixer, die auf mich sehr attraktiv wirkt und sich nicht mehr hinter den groรen Konkurrenten verstecken muss. Aber auch Surround-Mixing, neues Take-Comping, mehrere Docks und vieles mehr ist in V4 zu finden. Wer es genau wissen mรถchte, kann sich ja mal den Changelog ansehen … puhhh …

Mit der Version 4 wurde der Preis von Reaper etwas angehoben. Wer die Software privat nutzt und nicht mehr als als 20.000$ im Jahr damit verdient, zahlt unglaubliche 60$ (statt bislang 40$). Eine kommerzielle Lizenz, also wenn man z. B. mit einem Tonstudio mehr als 20.000$ pro Jahr verdient, kostet lรคcherliche 225$. Dafรผr bekommt man aber sรคmtliche Updates bis zur Version 5.99 kostenlos !! Wer da noch Raubkopien zieht oder Cracks anwendet, ist wirklich unbelehrbar.
Plugins von Stillwell Audio
รbrigens habe ich auch die Plugins von Stillwell Audio fรผr mich entdeckt. Stillwell ist fรผr viele der mitgelieferten JS-Plugins von Reaper verantwortlich und die Firma macht wirklich beeindruckende Plugins zu mehr als fairen Preisen. Den VSTi Synthesizer Olga, den Bombardier und Rocket Compressor, den Oligarc Filter und den Neve-artigen 1973 Equalizer habe ich sofort ins Herz geschlossen.

Reaper 4 – ein echter Verfรผhrer
Mit Reaper 4 ist ein echter Verfรผhrer entstanden. Wer immer etwas mit seiner DAW unzufrieden war und mit der Update-Politik seines Herstellers nicht immer einverstanden war, findet hier eine echte Alternative, auf die man sich aber einlassen muss.
Belohnt wird man mit unglaublicher Flexibilitรคt, einem kompletten Set an gut klingenden Audioeffekten, totaler Automation, bester Performance und nicht zuletzt mit einem schon lรคcherlichen Preis.
Weitere Informationen im Netz:
Sorry, aber der muss jetzt noch kommen: Will Ferrel und Christopher Walken mit einer Parodie auf „Don’t fear the reaper“ von Blue Oyster Cult – MORE COWBELL!
Hi, nicht unerwรคhnt bleiben sollte neben allem gesagtem, dass nicht nur das Forum und deren Mitglieder รคusserst hilfbereit sind, sondern auch, dass die Entwickler selber rege mitdiskutieren und auf Anfragen eingehen. Im Grunde wird jede Beta direkt bereitgestellt und offen getestet (jeder kann mitmachen) und im direkten Kontakt mit den Entwicklern poliert.
Apropo, das Updatetempo ist gigantisch, es gibt i.d.R. mehrere pro Monat…
Ich lese dein Blog zwar wegen der Fotografie aber ich hab frรผher auch Musik am Computer gemacht. Da bekomme ich fast wieder lust einzusteigen. KAnnst due ein gรผnstiges Midikeybord empfehelen?
Das kommt darauf an, was du von einem Keyboard erwartest. Wie viele Tasten soll es haben, brauchst du Controller oder gar eine Hammermechanik? Der gรผnstigste Einstieg ist etwas in dem Bereich: Miditech
Hmm, ich hab bislang nur die 64bit Version ausprobiert und die funktioniert einwandfrei – sofern ich das nach einer Stunde testen sagen kann.
Bei mir hakelt die 32-Bit Version von der 4er etwas, aber die Reaper-Jungs haben ja schon die 4.01 angekรผndigt. Optisch ist das schon ein Meilenstein.
Ich habs mir gleich mal gezogen.Sieht echt schick aus. Ich produziere sonst auch mit Ableton und wollte jetzt aber nicht nochmal Viel Geld fรผr eine Software ausgeben,die im Audiobereich besser ist, bin ich mal gespannt,wie ich mit Reaper klar komme.
Danke fรผr den Tipp